Weber, Axel G.: Der Childebertring und andere frühmittelalterliche Siegelringe, Hamburg 2014, VII, 267 S. m. 67 Abb. im Text und mehreren Tabellen. ISBN 978-3-8300-7702-2

Vor einigen Jahren wurde ein goldener Siegelring aus einer deutschen Privatsammlung bekannt, der auf seiner Siegelplatte eine männliche, barhäuptige Büste mit langer Haartracht in Seitenansicht zeigt, die eine Lanze in der Rechten und einen Schild in der Linken hält. Umgeben ist die Darstellung von der Inschrift +HILDEB/ERTIREGIS. Trotz der ungewöhnlichen Schreibweise Hildebert statt Childebert kann kein Zweifel daran bestehen, dass in Bildnis und Umschrift einer der vier merowingischen Könige gleichen Namens zu sehen ist.

Der massive Goldring mit einem Gewicht von 40,56 g gelangte Anfang des letzten Jahrhunderts auf ungeklärten Wegen in eine private Sammlung, aus der ihn der jetzige Eigentümer vor mehreren Jahrzehnten erwarb. Der Erstbesitzer gab seinerzeit an, der Ring stamme 'aus der Gegend von Metz'.

Der bisher einzig bekannte und zweifelsfrei einem merowingischen König zuweisbare Siegelring war der des salfränkischen Königs Childerich, der nach seinem Tod 482 in Tournai bestattet wurde, und dessen Grab man 1653 beim Bau eines Armenhauses wiederentdeckte. Der Ring fiel 1831 einem Diebstahl zum Opfer; die Diebe schmolzen ihn mit dem größten Teil der übrigen Goldobjekte des Grabinventars ein. Der nun vorgestellte Siegelring mit der Inschrift HILDEBERTI REGIS ist der einzig erhaltene Siegelring eines merowingischen Königs. Diese Aussage setzt natürlich den zweifelsfreien Nachweis seiner Authentizität voraus. Zu diesem Zweck erfolgte eine Materialanalyse zur Feststellung der Spurenelemente und der Isotopenzusammensetzung im Mikrometerbereich am Curt- Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim.

Eine direkte Aussage zum Alter des Rings erbrachte ein vor wenigen Jahren entwickeltes Verfahren der Uran/Thorium-Helium Messung im Massenspektrometer. Diese von Professor Otto Eugster am Physikalischen Institut der Universität Bern mitentwickelte und dort angewandte Untersuchungsmethode ist eine bahnbrechende Neuerung zur Feststellung des Alters eines Goldobjekts. Das Verfahren ermöglicht die Ermittlung des Zeitpunkts, an dem das zur Herstellung des Objekts verwandte Gold geschmolzen wurde. Die Untersuchung erbrachte den Nachweis, dass es sich bei dem Hildebertring nicht um ein in jüngerer Zeit hergestelltes Falsifikat handeln kann.

Die Frage nach der H-Schreibung des Namens ist innerhalb der Arbeit Gegenstand einer gesonderten, philologisch-onomastischen Untersuchung durch Wolfgang Haubrichs, Universität Saarbrücken, einem Fachmann auf diesem Spezialgebiet. In seinem Beitrag belegt er die gegen Ende des 6. Jahrhunderts in der östlichen, austrasischen Schriftprovinz wiederholt auftretende, deutlich abgrenzbare H-Schreibung für das sonst gebräuchliche CH.

Ringtypologische und ikonographische Vergleiche, hier mit Münz- als auch Ringbildnissen aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts, schließen eine Entstehung in dieser späten Zeit aus, wodurch die beiden letzten der vier namensgleichen Könige, Childebertus adoptivus (656-662) und Childebert III. (694-711), nicht in Betracht zu ziehen sind. Da eine Zugehörigkeit mit dem ersten Namensträger, dem Chlodwigsohn Childebert I. von Paris, nicht grundsätzlich auszuschließen ist, schien es geboten, auch die Situation in der Grabkirche St. Vincentius, dem heutigen Saint-Germain-des-Prés, zu untersuchen. Childebert hatte den Bau errichten lassen, ihn nach Kräften gefördert und nach seinem Tode 558 bestattete man ihn dort. Es zeichnet sich jedoch eine Transferierung seines Grabes in späterer Zeit an eine andere Stelle des Kircheninnern ab. Daher lässt sich jedenfalls kein zusammenhängender Befund aus Königsgrabkirche, Königsgrab und Siegelring feststellen. Ein Befund sui generis ist aber nach den onomastischen Belegen der Verweis auf das östliche, austrasische Teilreich mit seinem Herrschaftssitz Metz, und so sollte die alte Fundortangabe 'Metz', wenn auch heute nicht mehr verifizierbar, als Hinweis nicht außer Acht gelassen werden. Die Überlegungen lassen den Autor zu dem Schluss kommen, dass der Hildebert des Rings Childebert II. von Metz ist (austrasischer König 575-596, König in Burgund 592-596).

Im Bestreben Konkordanzen und Abweichungen zu dem nun bekannt gewordenen Childebertring aufzuzeigen, werden weitere frühmittelalterliche Siegelringe in die Betrachtung mit einbezogen. Eine geschlossene, in ihrer Erscheinung weitgehend einheitliche Gruppe, bilden hier die langobardischen Ringe und Bleisiegel, von denen eine Anzahl lediglich durch Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts überliefert sind. In der Gesamtschau aller bis dato bekannten langobardischen Siegel und Siegelringe lässt sich die alte Kontroverse, ob in den Bildnissen stets das des Königs zu sehen ist, und nur in der Umschrift der königliche Amtsträger namentlich benannt wird, oder beides eine Einheit bildet, zu Gunsten des letzteren beantworten, da auf mehreren Bleisiegeln zusätzlich zum Namen der Titel dux angeführt wird. Bei einer sozial hochgestellten Führungselite kann das Recht auf ein eigenes Bildnis vorausgesetzt werden.

Im Folgenden werden zwei bisher unbekannte Siegelringe aus Privatbesitz vorgestellt. Der eine zeigt einen Kleriker mit Orantengestus und der Umschrift +LEVDOALDVS. Es sind aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Bayeux und Avranches Bischöfe dieses Namens überliefert, und möglicherweise steht der Ring mit einem der beiden in Verbindung. Der Umstand, dass nur eine sozial sehr hoch stehende Persönlichkeit einen goldenen Siegelring führt, bestärkt die Vermutung im Leudoaldus des Rings einen der beiden Bischöfe zu sehen.

Der andere Ring, er soll nach Ausweis des Sammlungsinventars aus Spanien stammen, zeigt ein Profilbildnis mit Diadem mit der Umschrift TEVDILAD. Das D hinter dem ostgermanischen Männernamen Teudila ist wohl als D(ominus) zu deuten. Bei einem goldenen Siegelring, dessen Besitzer als dominus bezeichnet wird und der ein Diadem trägt, kann nur ein Angehöriger des Königshauses gemeint sein, und so wird von einem Teudila berichtet, Sohn des westgotischen Königs Sisebut (612-621), der als erster Westgotenprinz ins Kloster ging um Mönch zu werden. Sein Name ist durch einen Brief überliefert, den sein frommer Vater ihm zu diesem Anlass schrieb.

Weitere, in der Studie behandelte Siegelringe, sind solche, die seit längerem bekannt und mitunter kontroversen Deutungen unterlagen. So sind für den Ring des +GRAIFARIVS aus dem Wallis, heute im Landesmuseum Zürich, Datierungsvorschläge von etwa 500 bis in die Mitte des 7. Jahrhunderts gemacht worden. Formtypologisch ist er in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts belegbar und würde so der These Reinhold Kaisers nicht entgegenstehen, der in Graifarius den dux Vaefarius in Betracht zieht und dies mit der im romanischen Sprachraum früh nachzuweisenden Lautverschiebung von W zu G erklärt. Vaefarius übte die herzogliche Gewalt im pagus ultraiuranus aus, des Gebiets in dem der Ring gefunden wurde; sein Tod ist für 573 nachweisbar. Das langhaarige Profilbildnis mit Diadem müsste demnach König Gunthram von Orléans darstellen, zu dessen Teilreich der pagus seit 561 gehörte, somit wäre er derjenige, der den Ring mit der freundlichen Widmung utere felix dem Graifarius/Vaefarius zueignete.

Ausführlich wird der Ring der ARNEGVNDE behandelt, entdeckt 1959 in Sarkophag 49 unter der Basilika von St. Denis in Paris. Die mit kostbaren Beigaben ausgestattete Tote soll nach Ansicht des Ausgräbers Michel Fleury die Königin Arnegunde sein, eine der Gemahlinnen Chlothars I. (511-561) und Mutter des Thronfolgers Chilperich I. (561-584). Er begründete dies mit dem von ihm als REGINE aufgelösten zentralen Monogramm des Ringes, eingefasst von einer rechtsläufigen Namensumschrift. Danach würde das Monogramm verschlüsselt ihren Titel (Königin), die Umschrift in Buchstaben lesbar ihren Namen wiedergeben. Dies führte in der Nachfolge zu sehr unterschiedlichen Interpretationen des Befundes, erschwert noch durch die lückenhaft dokumentierte Grabung und die kurz nach der Auffindung verschollenen Teile des Inventars. Erst 2003 wurden sie an entlegener Stelle wieder aufgefunden und standen einer erneuten Untersuchung, hier besonders der Skelettreste, zur Verfügung. Die Diskrepanzen in der Datierung der Beigaben, der Lebensdaten der historischen Arnegunde und der Lesung des Monogramms sind beträchtlich. A. Weber schlüsselt dieses in seiner Untersuchung als AREGVND auf, eine Schreibweise des Namens wie sie auch Gregor von Tours wiedergibt und verweist im übrigen auf Beispiele der Parallelität von Namensmonogramm und Namensumschrift auf Ringen jener Zeit, so wie die Feststellung Adolf Gauerts, im merowingischen Bereich seien bisher keine Titelmonogramme bekannt geworden.

Etwa um die Mitte des 7. Jahrhunderts datiert ein Siegelring, den man mit Sigibert III. (633/34-656) in Verbindung brachte. Anlass hierzu ist ein langhaariger Männerkopf im Profil, rechts und links davon die Buchstaben S und R, die man als S(igibertus) R(ex) deutete. Wenn auch einiges dafür spricht, die langen Haare könnten in der Tat auf einen Merowinger verweisen, ist doch der letztendliche Beweis nicht zu führen.

Auch für den letzten angeführten Siegelring muss der historische Bezug offen bleiben. Es handelt sich dabei, genauer gesagt, um die bewegliche Platte eines goldenen Siegelrings, die ein Sondengänger 1998 in der Grafschaft Norfolk in England aufspürte. Auf einer Seite zeigt sie Mann und Frau, wohl ein Paar, unter einem Kreuz, auf der anderen en-face einen langhaarigen Kopf, darüber ein Kreuz und eine linksläufige Inschrift BALDE/hILDIS. Dieser Name, in seiner romanisierten Form Balthild, lässt natürlich an die Gattin Chlodwigs II. (639-657) denken. Die aus Britannien stammende Balthild übte nach dem Tode Chlodwigs als Regentin für den noch unmündigen Thronfolger erheblichen politischen Einfluss aus. Auch ohne den nachweisbaren historischen Bezug stellt die Siegelplatte einen aussagekräftigen Beleg zur Ikonographie der Siegelbildnisse im fortgeschrittenen 7. Jahrhundert dar.

In einem Exkurs wird schließlich noch die soziale Stellung des Goldschmieds und das Goldaufkommen im Merowingerreich des 6. Jahrhunderts beleuchtet, was von besonderem Interesse für Tätigkeitsfeld, Arbeitsbedingungen und Absatzmöglichkeiten dieses Berufsstandes ist - so auch für den Goldschmied, der den Siegelring des Königs anfertigte.